NEURODIVERSITÄT: WAS ES BEDEUTET UND WARUM ES DIE WELT BEREICHERT
Was ist Neurodiversität?
Neurodiversität ist ein Begriff, den Du vielleicht schon einmal gehört hast – aber was bedeutet er genau?
Das Wort setzt sich aus „Neuro“ (Gehirn, Nervensystem) und „Diversität“ (Vielfalt, Unterschiedlichkeit) zusammen. Es beschreibt die Tatsache, dass Menschen auf ganz unterschiedliche Weise denken, fühlen und die Welt wahrnehmen.
Neurodiversität ist kein medizinischer Begriff und auch keine Diagnose. Es ist ein Konzept, das sagt:
- Es gibt nicht nur eine „richtige“ Art zu denken.
- Unterschiede im Gehirn sind natürlich – keine Störung, die behoben werden muss.
- Menschen mit verschiedenen neurologischen Eigenschaften bringen wertvolle Perspektiven in die Gesellschaft ein.
Die Idee der Neurodiversität wurde in den 1990er-Jahren von der australischen Soziologin Judy Singer geprägt. Sie selbst ist autistisch und hat den Begriff eingeführt, um darauf hinzuweisen, dass neurodivergente Menschen – also Menschen, deren Gehirn anders arbeitet – nicht „defekt“, sondern einfach anders sind.
Als Erziehungswissenschaftler an der Universität Hamburg untersucht Prof. Zimpel die Auswirkungen von Neurodiversität auf die Aufmerksamkeit im Schulunterricht. Seine Forschung zeigt, dass neurodivergente Schüler Informationen anders wahrnehmen und verarbeiten. Basierend auf diesen Erkenntnissen entwickelte sein Team die App „Mathildr“, die speziell Kinder mit Trisomie 21 beim Rechnenlernen unterstützt, indem sie deren besondere Wahrnehmung berücksichtigt.
Wie wird Neurodiversität definiert?
Die Definition von Neurodiversität basiert auf einem einfachen Prinzip:
Das menschliche Gehirn gibt es in vielen Varianten – genauso wie Augenfarben oder Körpergrößen.
Stell Dir vor, es gäbe nur eine Art, Musik zu hören, eine Art, Probleme zu lösen oder eine Art, zu kommunizieren. Die Welt wäre ziemlich langweilig, oder? Genau deshalb ist Neurodiversität wichtig.
Einige Wissenschaftler sehen Neurodiversität als eine soziale Bewegung:
🔹 Sie fordert, dass Menschen mit neurologischen Unterschieden nicht als „gestört“ oder „krank“ angesehen werden.
🔹 Sie betont, dass Anpassungen in der Gesellschaft wichtiger sind als der Versuch, neurodivergente Menschen zu verändern.
🔹 Sie setzt sich dafür ein, dass jeder Mensch die Unterstützung bekommt, die er braucht, um sein Potenzial zu entfalten.
Wer gehört zur Neurodiversität?
Neurodiversität umfasst viele verschiedene neurologische Varianten. Dazu gehören zum Beispiel:
🟢 Autismus-Spektrum-Störung (ASS):
Autistische Menschen haben oft eine besondere Wahrnehmung der Welt. Sie können ein außergewöhnliches Detailgedächtnis haben, klare Strukturen lieben oder tief in Spezialinteressen eintauchen.
🟢 ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung):
Menschen mit ADHS denken oft schnell, sind kreativ und energiegeladen. Sie haben jedoch manchmal Schwierigkeiten, ihre Aufmerksamkeit zu steuern.
🟢 Legasthenie (Lese-Rechtschreib-Schwäche):
Legastheniker haben oft Schwierigkeiten mit Schriftsprache, sind aber oft besonders begabt im logischen Denken oder im visuellen Bereich.
🟢 Dyspraxie:
Menschen mit Dyspraxie haben Schwierigkeiten mit der motorischen Koordination, sind aber oft sehr kreative Denker.
All diese neurologischen Varianten sind keine Krankheiten, die geheilt werden müssen, sondern einfach unterschiedliche Formen des menschlichen Denkens.
Wie funktioniert das Gehirn bei Neurodiversität?
Autismus: Das detail-orientierte Gehirn
Beispiel: Stell dir vor, du schaust dir ein Wimmelbild an – so eines, das voller kleiner Figuren und Objekte ist.
- Ein neurotypisches Gehirn nimmt zuerst das große Ganze wahr: die Szene, die Stimmung, das Hauptmotiv.
- Ein autistisches Gehirn sieht zuerst die kleinen Details – vielleicht ein winziges Blatt in der Ecke oder einen Buchstaben auf einem Shirt.
Erklärung: Das Gehirn autistischer Menschen filtert Informationen anders. Es neigt dazu, Details stärker zu beachten, was oft zu einer herausragenden Mustererkennung führt.
Im Alltag:
- Autistische Menschen können in Berufen wie Design, Mathematik oder Datenanalyse brillieren, weil sie Muster schneller erkennen.
- Gleichzeitig kann es sie überfordern, wenn viele Sinneseindrücke gleichzeitig auf sie einprasseln.
ADHS: Das sprunghafte, schnelle Gehirn
Beispiel: Stell dir vor, dein Gehirn ist ein Fernseher mit 100 Kanälen – aber die Fernbedienung schaltet alle paar Sekunden automatisch um.
- Ein neurotypisches Gehirn kann sich auf einen Sender konzentrieren und bleibt dort.
- Ein ADHS-Gehirn springt oft hin und her – von einem Gedanken zum nächsten, von einer Idee zur anderen.
Erklärung: ADHS entsteht durch eine veränderte Regulation von Dopamin, dem Botenstoff, der für Motivation und Fokus zuständig ist.
Im Alltag:
- ADHS-Betroffene haben oft viele Ideen gleichzeitig und können sehr kreativ sein.
- Sie haben jedoch Schwierigkeiten, sich lange auf langweilige oder routinemäßige Aufgaben zu konzentrieren.
Lösung: Viele Menschen mit ADHS nutzen Techniken wie Bewegung, Musik oder strukturierte To-Do-Listen, um ihre Aufmerksamkeit zu steuern.
Legasthenie: Das bild-denkende Gehirn
Beispiel: Stell dir vor, du denkst nicht in Wörtern, sondern in Bildern.
- Während neurotypische Menschen sich ein Wort als Text im Kopf vorstellen („Baum“ als geschriebenes Wort), sehen viele Legastheniker eine visuelle Vorstellung eines Baums.
- Das bedeutet aber auch, dass sie sich schwerer tun, geschriebene Sprache so zu verarbeiten wie andere.
Erklärung: Ihr Gehirn nutzt eine andere Art der Informationsverarbeitung – weniger sprachlich, mehr bildhaft.
Im Alltag:
- Menschen mit Legasthenie sind oft besonders begabt in Kunst, Design oder räumlichem Denken.
- Gleichzeitig kann das Lesen und Schreiben mühsam sein, weil ihr Gehirn Buchstaben nicht so „automatisch“ erkennt wie bei neurotypischen Menschen.
Lösung: Farben, Symbole oder spezielle Schriftarten können helfen, Texte besser zu erfassen.
Dyspraxie: Das koordinations-herausgeforderte Gehirn
Beispiel: Stell dir vor, du versuchst, Jonglieren zu lernen – aber jedes Mal, wenn du einen Ball fängst, ist er plötzlich schwerer oder leichter als erwartet.
- Dyspraxie betrifft die Fein- und Grobmotorik – das heißt, Bewegungen zu planen und umzusetzen ist schwieriger.
- Menschen mit Dyspraxie haben oft Schwierigkeiten mit Dingen wie Schreiben, Sport oder Handarbeit.
Erklärung: Das Gehirn hat Schwierigkeiten, die Bewegungskoordination genau abzustimmen.
Im Alltag:
- Menschen mit Dyspraxie sind oft starke analytische Denker oder besonders gut in kreativen Bereichen.
- Sie können aber Schwierigkeiten mit Dingen haben, die Präzision erfordern, wie das Tippen auf einer Tastatur.
Lösung: Hilfsmittel wie ergonomische Stifte oder Spracherkennung-Software können helfen.
Fazit: Jedes Gehirn ist einzigartig
Neurodivergente Gehirne arbeiten anders – aber nicht schlechter. Jeder Mensch hat seine eigenen Stärken und Herausforderungen.
Warum ist Neurodiversität wichtig?
In unserer Gesellschaft wird oft erwartet, dass Menschen „gleich“ funktionieren. Schule, Arbeit und soziale Erwartungen sind auf eine „Durchschnittsperson“ zugeschnitten. Das Problem? Diese Durchschnittsperson gibt es nicht.
Neurodivergente Menschen bringen Fähigkeiten mit, die die Welt bereichern:
💡 Autistische Menschen denken oft analytisch und erkennen Muster, die andere übersehen.
🎨 ADHS-Betroffene sind oft innovativ und denken schnell in Lösungen.
📊 Menschen mit Legasthenie haben oft ein starkes räumliches Denken und eine kreative Vorstellungskraft.
Doch anstatt diese Stärken zu fördern, erwartet die Gesellschaft oft und insbesondere in der Schule, dass neurodivergente Menschen sich anpassen. Das kann zu Stress, Überforderung und Unsicherheit führen.
Deshalb ist es wichtig, dass wir:
🔹 Die Vielfalt im Denken akzeptieren.
🔹 Barrieren abbauen, damit jeder sein volles Potenzial entfalten kann.
🔹 Mehr Verständnis für neurologische Unterschiede schaffen.
Was kannst Du als Eltern eines autistischen Kindes tun?
Wenn Dein Kind neurodivergent ist – zum Beispiel autistisch oder ADHS-betroffen – dann kann das manchmal herausfordernd sein. Vielleicht hast Du das Gefühl, dass Dein Kind nicht in das „normale“ System passt.
Hier sind einige Dinge, die helfen können:
✅ Informiere Dich über Neurodiversität. Je besser Du verstehst, wie das Gehirn Deines Kindes funktioniert, desto besser kannst Du es unterstützen.
✅ Akzeptiere Dein Kind so, wie es ist. Dein Kind ist nicht „kaputt“ – es braucht nur eine Umgebung, die seine Stärken unterstützt.
✅ Schaffe eine Umgebung, die zu Deinem Kind passt. Vielleicht braucht es klare Routinen, sensorische Hilfsmittel oder eine andere Art zu kommunizieren. Eine gute Zusammenstellung findest Du hier.
✅ Sei die Stimme für Dein Kind. Schulen, Lehrer und andere Menschen haben oft noch falsche Vorstellungen über Autismus und ADHS. Du kannst dazu beitragen, dass sich das ändert.
FAZIT: Neurodiversität verstehen bedeutet, die Welt neu zu denken
Neurodiversität ist kein Trend oder eine Modeerscheinung – sie beschreibt die Realität, dass Menschen unterschiedlich denken. Anstatt zu versuchen, neurodivergente Menschen zu „reparieren“, sollten wir lernen, ihre Stärken zu erkennen.
Denn Vielfalt macht uns als Gesellschaft reicher – und Dein Kind ist genau richtig, so wie es ist.
Möchtest Du mehr darüber erfahren, wie Du Dein autistisches Kind bestmöglich unterstützen kannst? Ich biete individuelles Coaching für Eltern an. Melde Dich gerne für ein Erstgespräch!